Einstmals die erste Wirkungsstätte für Auszubildende und Praktikanten, die den Beruf des Eisenbahners erlernen wollten, wird es nun bald dunkel im klassischen „Einstiegsbahnhof“ Wissingen. Im Zuge der 6. Ausbaustufe des ESTW Osnabrück geht die Steuerung der Signalanlagen vsl. im März 2025 auf das ESTW Osnabrück über und die letzten Eisenbahner verlassen das Gleisbildstellwerk Wissingen (Wif).
Einer, der als Schülerpraktikant seine ersten Einsenbahnerfahrungen auf dem Stellwerk Wif, für das damals noch die Deutsche Bundesbahn zuständig war, gesammelt hat, war unser Autor Matthias Beermann. Kurz vor der Inbetriebnahme der 6. und letzten Baustufe des ESTW Osnabrück kehrte er noch einmal zu diesem Bahnhof zurück.
Bericht von Matthias Beermann (Tag des Besuchs 21.10.2024)
Beitragsbild von J. Behrens
22. März 1986 wurde das Bahnhofsgebäude bereits nicht mehr genutzt, als die Vorkriegslok 104 020 das leerstehende Gebäude in Richtung Osnabrück passierte. Die Maschine war bis zu ihrer Ausmusterung im Jahr 1977 beim Bahnbetriebswerk Osnabrück 1 beheimatet und wurde anschließend als dort als Museumslok betreut. Im Hintergund ist das Stellwerk „Wif“ zu erkennen.
Das Stellwerk „Wif“
Der Bahnhof Wissingen steht stellvertretend für viele „kleinere“ Bahnhöfe entlang der Hannoverschen Westbahn. Zwei Streckengleise, ein Überholgleis und einzelne Gleisanschlüsse ortsansässiger Betriebe (letztere gibt es in Wissingen mittlerweile nicht mehr) zeichnen diesen Bahnhofstyp aus. Allein zwischen Löhne und Osnabrück waren von den acht Zwischenbahnhöfen vier weitere Bahnhöfe vergleichbar zu Wissingen aufgebaut (Ahle, Bruchmühlen, Westerhausen und Lüstringen). Die mechanischen und elektromechanischen Stellwerke auf diesen Bahnhöfen waren im Verhältnis zu ihrer Größe sehr personalintensiv, weil die Stellentfernungen für Weichen und Signale sehr begrenzt waren und das Freisein der Gleise vor jeder Zugfahrt durch das aktive Hinsehen der Stellwerker festgestellt werden musste (vgl. unseren Bericht über den Bahnhof Velpe). Aus diesem Grund suchte die Deutsche Bundesbahn nach kostengünstigen Alternativen in der Stellwerkstechnik.
Speziell für kleine Bahnhöfe mit wenigen Weichen und Hauptsignalen entwickelte die Firma Siemens auf Basis der kurz zuvor entstandenen Dr I Stellwerke Anfang der 1950er Jahre ein kleines Gleisbildstellwerk für einfache Betriebsverhältnisse. Das erste dieser sog. Dr S 2 Stellwerke wurde bereits 1952 in Steinheim (Main) in Betrieb genommen.
Der Stellbereich eines solchen Stellwerks verfügt über selbsttätige Gleisfreimeldeanlagen, so dass im störungsfreien Betrieb die Auswertung der Meldeanzeigen auf dem Stelltisch ausreichend ist. Gleichzeitig können bis zu 12 Weichen ferngestellt werden und darüber hinaus ortbediente Weichen (z.B. von Gleisanschlüssen) über eine Schlüsselsperre in die Signalabhängigkeit eingebunden werden. Das Umstellen der Weichen erfolgt hier durch gleichzeitiges Drücken der Weichentaste mit der sog. Weichengruppentaste. Nachdem alle Weichen für eine Fahrstraße in die richtige Stellung gebracht worden sind, kann der Fahrdienstleiter durch gleichzeitiges Bedienen von Signaltaste (Starttaste am Signal) und Fahrstraßenzieltaste (im Gleisfeld des Zielgleises) die Fahrstraße für die Zugfahrt einstellen. Wenn alle technischen Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Fahrstraße festgelegt (Anzeige erfolgt durch einen Festlegemelder) und danach gelangt das Hauptsignal in die Fahrtstellung. Im Regelbetrieb erfolgt die Auflösung der Fahrstraße zugbewirkt automatisch, besetzte Gleise werden dem Fahrdienstleiter mittels rot leuchtender Gleisabschnitte angezeigt.
Die erforderlichen Abhängigkeiten für einen sicheren Bahnbetrieb werden bei den Dr S 2 Stellwerken mittels elektrischer Prüfströme und Relaisschaltungen hergestellt. Sie basieren auf den gleichen Abhängigkeiten, die bei mechanischen und elektromechanischen Stellwerken mittels Schubstangen und Verschlüssen hergestellt werden.
Auf diese Weise war es möglich, den Betrieb deutlich effizienter zu gestalten. Auch boten diese Stellwerke die Möglichkeit der Fernsteuerung von entfernter gelegenen Betriebsstellen und somit weitere Potenziale zur Effizienzsteigerung.
Im Bahnhof Wissingen begannen die Bauarbeiten für ein neues, „zentrales“ Stellwerk im Jahre 1962. Es wurde zwei Jahre später in Betrieb genommen. Diese neue Gleisbildstellwerk der Bauform DrS 2, löste die zwei mechanischen Stellwerke der Bauform „Jüdel“ ab. Bis dahin war das Fahrdienstleiterstellwerk „Wf“ im Bahnhofsgebäude am Hausbahnsteig untergebracht. Von hieraus wurden die Weichen und Signale in Richtung Melle gestellt. Das Wärterstellwerk „Ww“ befand sich im Westkopf des Bahnhofs und war für die Weichen und Signale in Richtung Lüstringen zuständig.
„Der Fahrdienst in Wissingen“ – Auszug aus dem Praktikumsbericht des 16 jährigen Schülers Matthias Beermann
Stellwerk „Wif“ – Montag den 22. Februar 1993 (1. Tag des Praktikums)
„Zwischen den großen „Hauptstellwerken“ liegen in gewissen Abständen kleine Stellwerke. Die Beamten, die hier arbeiten, werden Fahrdienstleiter genannt. Die Aufgaben der Fahrdienstleiter bestehen darin, die sogenannten Zugstraßen zu schalten. Dadurch erhält ein Zug die Fahrerlaubnis oder er muss an einem Signal anhalten, falls der davorliegende Abschnitt gerade noch von einem anderen Zug befahren wird. Damit die Fahrdienstleiter immer wissen, welche Züge gerade zu ihnen unterwegs sind, werden die Züge von Stellwerk zu Stellwerk weitergemeldet. Das nennen die Eisenbahner „Zugmeldeverfahren“. Für diese Meldungen muss jeder Fahrdienstleiter ein Zugmeldebuch führen, im dem die Ankunfts- und Abfahrtszeiten notiert werden. Auch andere Meldungen, wie z.B. Gleissperrungen sind hier zu dokumentieren. Darum ist auch ein sauberes Schriftbild vorgeschrieben.
Eines dieser kleinen Stellwerke ist in Wissingen und es liegt an der Strecke von Osnabrück nach Löhne. Die Bezeichnung „Wif“ bedeutet „Wissingen Fahrdienstleitung“. Auf dem Stellwerk in Wissingen arbeitet man alleine. Von hier werden die beiden Streckengleise, ein Überholgleis und zwei Abstellgleise geschaltet. Ein Bahnhofsgebäude gibt es in Wissingen nicht mehr. Aber das Stellwerk wird gerne als Einführungsstellwerk für Praktikanten und Auszubildende genommen. Insgesamt halten in Wissingen alle zwei Stunden je zwei Nahverkehrszüge. Ab Mai 1993 soll diese Zahl halbiert werden.
Der Fahrdienstleiter erklärte mir alles sehr ausführlich und verständlich und unter seiner Anleitung durfte ich die Schalttafel bedienen und die Fahrten zu den benachbarten Bahnhöfen Osnabrück Hbf und Melle schalten.“
Die Verkehrsstation Wissingen in der Gegenwart
Der Bahnhof Wissingen liegt an der zweigleisigen, elektrifizierten Hauptbahn Löhne – Rheine im Streckenkilometer 122,2. Östlich von Osnabrück, ist er letzte Halt für Regionalbahnen vor dem Osnabrücker Hauptbahnhof. Die Fahrzeit bis dahin beträgt rund sieben Minuten.
In Richtung Osten schließt sich der Haltepunkt Westerhausen und der Bahnhof Melle an. Die Fahrzeit bis Melle beträgt ebenfalls rund sieben Minuten (mit Halt in Westerhausen).
Folgende SPNV-Linien bedienen die Verkehrsstation:
Linie | Verbindung | Takt | Betreiber |
RB 61 | Hengelo – Rheine – Osnabrück Hbf – Bünde (Westf) – Bielefeld Hbf | stündlich | Eurobahn |
Aktuelle Informationen bietet die Deutsche Bahn auf ihrer Internetseite:
– zum Fahrplan
– zur Ausstattung der Station
Aktuell befindet sich der Bahnhof im Wandel, hin zu einer modernen Nahverkehrsstation für den schienengebundenen Personenverkehr. Durch die Anbindung an das ESTW Osnabrück erhält auch der Bahnhof Wissingen moderne Leit- und Sicherungstechnik und wird auch künftig seine betriebliche Funktion als „Bahnhof“ zur Flexibilisierung des Bahnbetriebes behalten. Ein mehr als 700 Meter langes Überholgleis dient zur Aufnahme von Güterzügen.
Auf der Nordseite der Station gibt es einen Parkplatz für Pendler und Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Die Zu- und Abbringerbusse halten ebenfalls auf dieser Seite der Station. Von dem Parkplatz aus gelangt man unmittelbar zum Bahnsteig an Gleis 1 wo die Züge in Richtung Osnabrück und Rheine abfahren. Dieser Bahnsteig wurde im Jahr 2023 neu gebaut und etwas weiter nach Westen verlagert als sein Vorgänger.
Die Züge in Richtung Melle, Bünde, Herford und Bielefeld fahren gegenwärtig am Überholgleis, dem Gleis 3 ab, wo 2023 ein Behelfsbahnsteig eingerichtet ist. Hierdurch konnte der Mittelbahnsteig an Gleis 2 entfallen. Beide Bahnsteige sind barrierefrei zu erreichen und ermöglichen auch einen barrierefreien Einstieg in die Züge.
Das Gleis 3 dient gleichzeitig auch als Puffer- und Überholgleis zur flüssigen Betriebsabwicklung und hat eine Länge von mehr als 700 Metern. Um das Gleis 3 wieder uneingeschränkt für Dispositionszwecke nutzen zu können, wird nach der Umschaltung auf die ESTW-Technik an Gleis 2 im Ausfahrabschnitt in Richtung Melle ein neuer Außenbahnsteig erreichtet werden. Beide Bahnsteige werden eine Länge von 225 Metern haben. Ein klassisches Bahnhofsgebäude gibt es in Wissingen allerdings nicht mehr.
Als markantes „Bahngebäude“ sticht das rote Klinkergebäude am Kreuzungspunkt von Bahnhofstraße und Gleis 1 heraus, in dem seit 1964 das Wissinger Stellwerk „Wif“ untergebracht ist, das nun im Frühjahr 2025 abgeschaltet werden wird.
Über die Geschichte des Bahnhofs Wissingen
Bereits mit Eröffnung der Königlich Hannoverschen Westbahn im Jahr 1855 erhielt die zur Gemeinde Bissendorf gehörende Ortschaft Wissingen einen eigenen Bahnhof. Dieser zählte neben den Bahnhöfe in Kirchlengern, Bünde und Melle zu den ersten vier Stationen, die zwischen Löhne und Osnabrück eingerichtet wurden. Ausschlaggebend für die Standortwahl dürfte hier die relativ zentrale Lage zwischen rund zehn Ortschaften gewesen sein, die zum näheren Einzugsgebiet des Bahnhofs zählten. Wissingen mit seinen damals etwa 160 Einwohnern wird hier von seiner günstigen „Mittellage“ profitiert haben. Insgesamt drei Personenzüge pro Richtung hielten im Eröffnungsjahr in Wissingen.
Das Bahnhofsgebäude, in massiver Backsteinbauweise errichtet, wurde zum Aushängeschild des Ortes. Neben einer Fahrkartenausgabe gab es zwei Wartesäle, jeweils einen für die 1. und 2. sowie einen für die 3. und 4. Klasse. Auf der Ostseite des Gebäudes befand sich der Güterschuppen, der allerdings nicht über ein Ladegleis an das Schienennetz angebunden war. Westlich des Bahnhofsgebäudes waren für das Be- und Entladen der Wagen ein rund 140 Meter langes Freiladegleis vorhanden.
Über den „Geschäftsräumen“ des Bahnhofs richtete die Bahnverwaltung Dienstwohnungen für die Weichensteller ein. Weiterhin entstand parallel zum Bahnhofsgebäude ein zweistöckiges Wohnhaus für die einfachen Bahnbediensteten sowie ein einstöckiges Wohnhaus für den Bahnhofsvorsteher auf der gegenüberliegenden Seite des Empfangsgebäudes.
Organisatorisch gehörte der Bahnhof Wissingen bis zum Jahr 1899 zur königlichen Eisenbahndirektion Hannover. Zum 01. April des Jahres übernahm die 1895 gegründete Eisenbahndirektion Münster die Zuständigkeit für die Westbahnstrecke von Osnabrück bis Löhne und somit auch für den Bahnhof Wissingen.
Kurz nach der Jahrhundertwende machte der stetig steigende Personen- und Güterverkehr einen Ausbau der Strecke und ihrer Bahnanlagen notwendig. Einerseits erfolgte der zweigleisige Streckenausbau zwischen Löhne, Osnabrück und Rheine schrittweise in den Jahren 1907 und 1908, andererseits erhielt der Bahnhof Wissingen in den Jahren zwischen 1908 und 1913 ein komplett neues und vergrößertes Bahnhofsgebäude, dass westlich des bestehenden Gebäudes errichtet wurde.
Neben einem Fahrkartenschalter und zwei Wartesälen war auch in diesem neuen Gebäude Dienstwohnungen für Eisenbahner untergebracht. Der neue Güterschuppen wurde westlich an das Gebäude angebaut und wurde mit einem Gleisanschluss versehen. Mit dem Strecken- und Stationsausbau hielt auch die damals moderne Sicherungstechnik Einzug in Wissingen. Im Bahnhofsgebäude richtete man das Fahrdienstleiterstellwerk „Wf“ ein, im Westkopf den Bahnhofs entstand das Wärterstellwerk „Ww“. Die Ausrüstung übernahm die Firma Jüdel.
Acht Personenzugpaare hielten im Jahr 1909 in Wissingen, jeweils vier morgens und vier nachmittags bzw. abends. Hinzu kamen fünf weitere Zugpaare, die Wissingen ohne Halt passierten und der Güterverkehr.
Bereits 15 Jahre nachdem das neue Bahnhofsgebäudes eingeweiht worden war, baute man im Jahr 1928 den östlichen Teil des Gebäudes um, so dass weitere Wohnungen eingerichtet werden konnten. Für diese schaffte man auch eine neue Zugangsmöglichkeit. Zeitgleich erhielt der Bahnhof auch eine Gastwirtschaft. Etwas zurückgelegen vom Bahnsteig entstand ein weiteres Bahndienstgebäude, in dem sich auch ein Toilettenbereich befand. Dieses anderthalbstöckige Gebäude fiel durch ein markantes kleines Türmchen auf dem Dach auf und trug eine große Anschrift „Wissingen“.
Bedingt durch den 1. Weltkrieg und die Folgen des verlorenen Krieges sanken die Zugzahlen zunächst deutlich. In den 1920er Jahren stiegen Sie langsam wieder an. Ende der 1930er Jahre erreichte die Anzahl der haltenden Züge sogar einen Höchststand von 13 pro Tag und Richtung. Auch der „Amtliche Taschenfahrplan“ der Direktion Münster weist für das Jahr 1941 immerhin noch elf tägliche Zuhalte in Richtung Osnabrück und zehn in Richtung Löhne aus. Nach dem 2. Weltkrieg war das Zugprogramm mit drei täglichen Zughalten pro Richtung zunächst wieder sehr überschaubar. Die Eisenbahn war zu dieser Zeit nach wie vor das wichtigste Verkehrsmittel. Berufspendler, schwerpunktmäßig in Richtung Osnabrück, aber auch Wochenendausflügler, z.B. zur Schelenburg bei Schledehausen, sorgten dafür, dass der Bahnhof Wissingen bald wieder stärker frequentiert wurde, so dass die Anzahl der haltenden Züge ab 1947 wieder auf sechs Zugpaare und ab Anfang der 1950er Jahre auf zehn Zugpaare gesteigert werden konnte.
Auch die Infrastruktur wurde in den folgenden Jahren modernisiert. Als sichtbares Zeichen entstand im Jahr 1962 auf der Ostseite des Hausbahnsteigs, direkt am Bahnübergang der heutigen Bahnhofstraße, ein zweistöckiger roter Klinkerbau. Hier wurde ein modernes Gleisbildstellwerk der Firma Siemens (Bauform Dr S 2) eingerichtet und 1964 in Betrieb genommen. Moderne Lichtsignale ersetzten die bisherigen Formsignale, die beiden mechanischen Stellwerke „Wf“ und „Ww“ von 1909 wurden stillgelegt (siehe Ausführungen weiter oben).
Der Sommerfahrplan 1969 wies an Werktagen sogar 13 Halte in Richtung Osnabrück und 12 Halte in Richtung Melle auf.
Obwohl die Anzahl der Personenzughalte in Wissingen stabil blieb, bekam auch der Bahnhof Wissingen die Folgen der Verkehrsverlagerung auf die Straße zu spüren, die ab den 1960er Jahren der Eisenbahn zusehens zu schaffen machten. Der Wagenladungsverkehr von und nach Wissingen hatte bis in die 1960er Jahren stark abgenommen, so dass die Güterabfertigung zum 01. Januar 1968 geschlossen wurde.
Weniger Aufgaben und weniger Personal bedeuteten auch, dass weniger Gebäude vorgehalten werden musste. Für das kleine, markante Bahndienstgebäude mit dem kleinen Türmchen gab es zu diesem Zeitpunkt keine weitere Verwendung. Nachdem es das Erscheinungsbild des Wissinger Bahnhofs fast 45 Jahre mitgeprägt hatte, wurde es im Jahre 1972 abgerissen.
Im Jahr 1976 folgte die Elektrifizierung des Streckenabschnitts Löhne – Osnabrück. Damit war ein durchgehend elektrischer Zugbetrieb zwischen Rheine und Löhne möglich geworden und auch die in Wissingen haltenden Personenzüge wurde auf elektrische Traktion umgestellt.
Mit leichter zeitlicher Verzögerung gegenüber dem Güterverkehr bekam aber auch der Personenverkehr die Folgen der „Verkehrswende“ hin zur Straße zu spüren. Weniger Fahrgäste bedeutete auch, dass der örtliche Fahrkartenverkauf zurückging, so dass die Fahrkartenausgabe zum 01. Juni 1980 geschlossen werden musste. Schließlich zogen in der Folgezeit auch die letzten Mieter aus dem Bahnhofsgebäude aus, so dass dieses ab 1982 leer stand. Alle Versuche, das Gebäude zu verkaufen und auf diese Weise einer Nachnutzung zuzuführen schlugen jedoch fehl.
Andere Nutzungsmöglichkeiten wurden gesucht und schließlich auch gefunden. Das Gelände, auf dem das Bahnhofsgebäude stand, sollte fortan als Holzverladeplatz genutzt werden. Im Juli 1987 erfolgte der Abriss des eindrucksvollen Gebäudes, so dass im Frühjahr 1988 das bestehende Ladegleis verlängert werden konnte. Bis etwa 1992 erhielt die Firma Brinker hier für das Sägewerk Schelenburg in Schledehausen Holz auf Rungenwagen zugestellt. Außerdem wurden, unabhängig vom Gebäudeabriss, Kesselwagen für eine Firma in Holte zugestellt. Auch diese Belieferung endete um 1992. Als Gütertarifpunkt hatte Wissingen ausgedient.
Obwohl es zum Sommerfahrplan 1991 aufgrund des starken Nachfragerückgangs eine große „Stilllegungswelle“ auf der ehemaligen Westbahnstrecke gab, der die Personenzughalte in Ahle (Kreis Herford), Lotte (Westf) und Velpe (Westf) zum Opfer fielen, blieb die Eisenbahn in Wissingen präsent.
Zum Zeitpunkt der Bahnreform im Jahr 1994 war Wissingen auch weiterhin ein Bahnhof im betrieblichen Sinne, der regelmäßig von Nahverkehrszügen bedient wurde. Mit dem Stellwerk „Wif“ waren auch weiterhin Eisenbahner „vor Ort“ im Einsatz.
Außerdem brachte die Bahnreform für Wissingen nach den Jahren des Rückbaus wieder positive Impulse. Zum 24. Mai 1998 führte das Bundesland Nordrhein-Westfalen den integralen Taktfahrplan ein, und legte damit für alle Nahverkehrslinien in ein konsequentes Taktgefüge mit systematischen Halten fest, das über den gesamten Tag Anwendung fand. In den Knotenbahnhöfen wurden stündlich wiederkehrende Anschlussbeziehungen zwischen den Nahverkehrslinien und zum Fernverkehr hergestellt. Basis für diese Entwicklung war das sog. Regionalisierungsgesetz, dass den Bundesländern die Zuständigkeit übertrug und diesen die entsprechenden Finanzmittel bereitstellte, um den Nahverkehr zu organisieren. Für Wissingen war diese Reform mit einer Aufstockung der Zughalte verbunden. An Werktagen machten nun 19 Nahverkehrszüge (Regionalbahnen) in Richtung Osnabrück (und weiter nach Rheine und teilweise bis Bad Bentheim) Station, in der Gegenrichtung waren es ebenfalls 19 Züge, die abwechselnd über Melle, Bünde und Herford nach Bielefeld bzw. Paderborn fuhren.
Die in den 1980 und 1990er Jahren für diese Strecke typischen Zuggarnituren im Nahverkehr (Wendezuggarnituren mit BR 141 bespannt) wurden zum Fahrplanwechsel im Dezember 2001 durch moderne Elektrotriebwagen der Baureihe 425 ersetzt. Im Oktober 2004 wurde die Linienführung schließlich vereinheitlicht, indem alle Regionalbahnen ausschließlich zwischen Bad Bentheim und Bielefeld verkehrten.
Ein weiteres Merkmal der Bahnreform war und ist der Wettbewerb auf dem Schienennetz. Im Nahverkehr werden seit Ende der 1990er Jahre die einzelnen Nahverkehrslinien bzw. Nahverkehrsnetze in regelmäßigen Abständen von 10 bzw. 15 Jahren durch die Aufgabenträger der Länder europaweit ausgeschrieben. Eisenbahnverkehrsunternehmen können sich dann auf diese Ausschreibungen bewerben.
Zum 09.12.2007 war dies auch für die in Wissingen haltende Nahverkehrslinie der Fall. Die damals neugegründete „Westfalenbahn“ übernahm auf dem rund 300 km langen „Teutoburger Wald Netz“ zwischen Bad Bentheim, Rheine, Münster, Osnabrück, Bünde und Bielefeld die Regionalbahnlinien, mit insgesamt rund 4 Mio. Zugkilometer pro Jahr. Zum Einsatz kamen moderne, neubeschaffte FLIRT-Triebwagen der Firma Stadler, die als 3-teilige und 5-teilige Einheiten u.a. Wissingen ansteuerten. Der Verkehrsvertrag war über eine Laufzeit von zehn Jahren geschlossen worden, danach erfolgte eine neue Ausschreibung, die das EVU Eurobahn gewann.
Sie übernahm zum 10.12.2017 die Fahrzeuge und den Betrieb des Netzes von der Westfalenbahn. Der geschlossene Verkehrsvertrag läuft über 15 Jahre bis 2032.
Auch die Verkehrsinfrastruktur des Wissinger Bahnhofs profitierte von der Regionalisierung des Nahverkehrs. Als letzter Bahnhof zwischen Löhne und Rheine verfügte Wissingen noch über einen Mittelbahnsteig an Gleis 2. Hier hielten die Züge in Fahrtrichtung Melle, der Bahnsteig war jedoch nur erreichbar, wenn die Reisenden das Gleis 1 überquerten. Hierfür waren besondere Reisendensicherungsmaßnahmen notwendig, um gleichzeitige Zugfahrten in Richtung Osnabrück auszuschließen. Auch boten beide Bahnsteige keinen barrierefreien Zugang zu den Zügen.
Im Jahr 2023 erhielt Wissingen komplett neue Bahnsteige, die nun mit einer durchgehenden Höhe von 76 cm einen barrierefreien Zugang zu den Zügen ermöglichen. Der alte Hausbahnsteig (Gleis 1) wurde abgetragen und der Neue ein wenig nach Westen verschoben. Der Mittelbahnsteig wurde komplett zurückgebaut und durch einen Behelfsbahnsteig (ebenfalls 76 cm hoch) an Gleis 3 ersetzt. Über den bestehenden Bahnübergang „Bahnhofstraße“ kann dieser erreicht werden.
Nachdem Wissingen an das ESTW Osnabrück in 2025 angeschlossen sein wird, wird östlich des Bahnübergangs „Bahnhofstraße“ am Brökerweg eigentliche Außenbahnsteig an Gleis 2 für Zughalte in Richtung Melle gebaut werden. Reisezüge müssen dann nicht mehr mit verminderter Geschwindigkeit durch das Gleis 3 fahren, dass dann unabhängig von Personenzughalten für Überholungen genutzt werden kann. Beide Bahnsteige werden eine Länge von 225 Metern haben und somit deutlich länger sein, als ihre Vorgänger.
Quellen
- Joachim Behrens – persönliche Aufzeichnungen zum Bahnhof Wissingen
- Lothar H. Hülsmann – Der Bahnhof Wissingen (2008)
- Ottfried Hoffmann – Die Erneuerung der Signalanlagen im Raum Osnabrück (1966, ETR Heft 3 S. 85-92)
- Neue Osnabrücker Zeitung – Bahnhof Wissingen: Neuer Bahnsteig an Gleis 2 erst 2025 (06.02.2024)
- Neue Osnabrücker Zeitung – Neue Tafel informiert jetzt über die Historie des Bahnhofs Wissingen
(13.05.2020) - Presseinformation – Betriebsstart der Westfalenbahn (09.12.2007) (Abgerufen am 20.11.2024)
- www.stellwerke.de – Gleisbildstellwerke: Bauformen und Unterscheidungsmerkmale
Stand des Textes: 22.11.2024
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