Der Rangierbahnhof Osnabrück

Im Stadtteil Fledder, zwischen dem Volkswagenwerk Osnabrück im Süden und der Hase im Norden erstrecken sich auf einer Länge von rund drei Kilometern die Gleisanlagen des Osnabrücker Rangierbahnhofs. Sie verlaufen parallel zur Hauptbahn Löhne – Rheine und sind im Westen vom Hauptbahnhof über eigene Gleise sowie im Osten im Bahnhofsteil Lüstringen entsprechend verknüpft. Von der in Süd-Nord-Richtung verlaufenden Strecke Ruhrgebiet – Bremen / Hamburg wird die Anlage über die Münsterkurve aus/in Richtung Süden und über die Bremer Kurve aus/in Richtung Norden erreicht.

Die Gleisanalgen werden heute von der DB Netz AG betrieben und stehen somit allen Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Verfügung. Die nachfolgende, schematische Übersicht gibt Auskunft über die im Jahr 2023 noch zur Verfügung stehenden Gleisanlagen:

Schematischer Gleisplan aus dem Anlagenportal der DB Netz AG zeigt die aktuell noch in Betrieb befindlichen Anlagen des Rangierbahnhofs. (DB NETZE; Anlagenportal Netz; Stand 18.01.2023 – Angaben ohne inhaltliche Gewähr auf Richtigkeit)

Die Entstehung des Rangierbahnhofs

Am 30. Oktober 1905 gab die königliche Eisenbahndirektion zu Münster bekannt, dass der neue Güter- und Rangierbahnhof im Fledder gebaut werden sollte.
Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in Osnabrück drei Punkte, an denen Güterzüge endeten:
– Bereits im Jahre 1855 war der erste Rangierbahnhof, westlich des Hannoverschen Bahnhofs in Betrieb genommen worden.

– Die Güterzüge der Köln – Mindener Eisenbahn endeten in Höhe des sog. Bremer Bahnhofs, der heutigen Klusgrupppe.

– Güterzüge, die seit 1876 auf der Oldenburger Südbahn verkehrten, endeten im Bahnhof Eversburg.
Der Beschluss zum Bau der neuen Anlage war in jenen Tagen heftig umstritten, wurde doch eine Teilung der Stadt befürchtet.

Alternative Pläne sahen Hörne für den Bau vor. Ebenfalls überlegte man den neuen Rangierbahnhof in Velpe (westlich von Osnabrück) zu bauen und Osnabrück lediglich durch Übergabefahrten zu bedienen, doch wirtschaftliche Gründe gaben letztlich den Ausschlag für den Standort Osnabrück.

Die neue Güterabfertigung Osnabrück: Ansichtskarte aus dem Jahr 1913 – Sammlung: H. Riecken

Der Bauplan sah umfangreiche Gleisanlagen, sowie ein Bahnbetriebswerk und eine Güterabfertigung mit überdachten Verladerampen vor. Desweiteren sollte der neue Rangierbahnhof von Münster aus direkt zu erreichen sein, was zum Bau der Kurven führte, welche dem osnabrücker Bahnhof sein charakteristisches Aussehen verleihen. Im Jahre 1912 wurde der neue Rangierbahnhof Osnabrück in Betrieb genommen, endgültig fertiggestellt wurde er erst ein Jahr später.


In seiner vollen Länge erstreckte sich der neue Rangierbahnhof vom Zentralbahnhof bis zum Bahnhof Lüstringen. Die neuen Verbindungskurven stellten sicher, dass er von allen Güterzügen, die Osnabrück ansteuerten direkt erreicht werden konnte. Die neue Anlage war wie folgt gegliedert:
Vom Bahnhof Lüstringen kommend wurde die Einfahrgruppe an die Strecke Löhne – Osnabrück angeschlossen.
Diesen Gleisen folgte der Ablaufberg, über den Güterwagen in die einzelnen Richtungsgleise gedrückt wurden. Hier wurden diese Wagen zu neuen Zügen oder Übergaben zusammengeschlossen.
Für den Fall, dass Wagen in die falschen Gleise gedrückt wurden, waren zwei Nachordnungsgruppen mit kleinen Nebenablaufbergen den Richtungsgleisen nachgestellt.

Eine komplexe Gesamtanlage

Ganz am Fuß dieser Anlage befand sich der Güterbahnhof. In der neuen Güterabfertigung hatten bis zu 202 Wagen gleichzeitig Platz. Der Güterabfertigung benachbart war das neue Bahnbetriebswerk Osnabrück Rbf. Der Ringlokschuppen, im Jahre 1913 fertiggestellt, bot 34 Stellplätze für Lokomotiven und auf seiner Südseite weitere Strahlengleise für die Aufnahme von Lokomotiven. Über zwei Drehscheiben konnten die Loks ihre Stellplätze erreichen. Somit war die Anlage auch für weiteres Verkehrswachstum ausreichend dimensioniert. Von diesem Betriebswerk aus wurden sämtliche von Osnabrück abgehenden Güterzüge und die auf der unteren Strecke verkehrenden Personenzüge bespannt.

Gleisplan vom Rangierbahnhof Osnabrück (um 1960) mit seinen umfangreichen Anlagen wie Bw, Güterabfertigung, Freiladegleisen und Oberbau-Stofflagen. Im Vergleich mit der aktuellen Gleisskizze wird deutlich, wie umfangreich und umfassend das Rangiergeschäft früher war. Sammlung: Lothar H. Hülsmann

Unmittelbar südlich der Güterabfertigung befanden sich umfangreiche Freiladegleise und die Anlagen des Oberau-Stofflagers.

Für die Anlage wurden im Laufe der Zeit unterschiedliche Bezeichnungen verwendet. Bis Anfang der 1950er Jahre sprach man gesamthaft vom Güterbahnhof (Gbf), entsprechend wurde auch das Bahnbetriebswerk Bw Osnabrück Gbf genannt. Ab 1951 sprach man vom Verschiebebahnhof (Vbf) bis sich ab 1961 die auch heute noch gebräuchliche Bezeichnung Rangierbahnhof (Rbf) durchsetzte.[1]

Eine ausgesprochen leistungsfähige Anlage

Im Bereich der Eisenbahndirektion Münster stellte der Osnabrücker Rangierbahnhof die leistungsfähigste Anlage dar. War die Bergleistung Anfang der 1930er Jahre von 2.200 auf 2.800 Wagen täglich angehoben worden, so betrug sie 1934 teilweise sogar bis zu 3.000 Güterwagen täglich. Zudem war der Rangierbahnhof mit einer, eigens in der Direktion Münster entwickelten, „Beschleunigungsanlage“ ausgestattet, die es erlaube, die ablaufenden Wagen im Bedarfsfall zu beschleunigen. [2]

Blick auf den Rangierbahnhof von der Schellenbergbrücke aus in Richtung Osnabrück. Im Hintergrund ist auf der rechten Seite das Stahlwerk zu erkennen. Foto: Horst von Dielingen (1963); Sammlung: MIK – Museum Industriekultur Osnabrück
Rangiergeschäft im Jahr 1964. Noch immer sind die Dampfloks für diesen Dienst unverzichtbar. Deutlich zu sehen sind im Hintergrund die Türme der Johanniskirche (links) und der Katharinankirchturm (links). Foto: Hartwig Fender (1964); Sammlung: MIK – Museum Industriekultur Osnabrück

Auch die Alliierten wussten um die Bedeutung dieser Anlage. Und so erhielten die amerikanischen Bomberpiloten die folgende Beschreibung zu ihrem Angriffsziel, dem Osnabrücker Rbf:

(ii) Target A. The RAILWAY MARSHALLING YARD has a throughput capacity of 2,200 wagons in 24 hours and was normally working to 93% of capacity before the war. It was therefore a medium sized but exceptionally busy yard, and would become a bottleneck in the event of any abnormal increase in traffic owing to war-time requirements. OSNABRÜCK has been called the „Gateway to Northern Germany“. (…)

Information für amerikanische Piloten über das Ziel Osnabrück – in: Wido Spratte „Im Anflug auf Osnabrück“, S. 50

Aus dieser Beschreibung wird klar, warum Osnabrück insbesondere ab 1944 ein Hauptangriffsziel alliierter Bomber war. Neben den großen Industriebetrieben der Stadt erlitt auch der Rangierbahnhof schwerste Zerstörungen.[3] Der Betrieb musste nach dem Krieg aber weitergehen, so dass auch der Osnabrücker Rangierbahnhof schnell wieder aufgebaut wurde. An der Schellenbergbrücke wurde ein neues elektromechanisches Stellwerk errichtet.
Doch Anfang der 60er Jahre reichten die Kapazitäten des Rangierbahnhofes nicht mehr aus, so dass zu Verkehrsspitzenzeiten auf die Bahnhöfe Hasbergen und Bramsche ausgewichen werden musste.
Des Weiteren hatte die Stadt Osnabrück 1962 den Stadtteil Fledder als Industriegebiet ausgeschrieben. In kürzester Zeit siedelten sich viele Betriebe dort an, die neben den Straßenverbindungen auch einen Gleisanschluss verlangten.

Umfassende Modernisierung der Osnabrücker Bahnanlagen

Im Zuge einer generellen Modernisierung der Stellwerke und Signaltechnik im Gesamtumfang von ca. 70 Millionen DM wurde auch der Rangierbahnhof zu Osnabrück für rund 12 Millionen Mark von Grund auf erneuert. Die alten mechanischen und elektromechanischen Stellwerke wurden durch drei Spurplanstellwerke der Firma Siemens ersetzt.

Des Weiteren wurden die Weichenbündel, hier verzweigen sich die Richtungsgleise, dichter an den Ablaufberg herangeführt. Der Ablaufberg wurde um 70 Zentimeter angehoben. Hierdurch wurde eine höhere Ablaufgeschwindigkeit und kürzere Laufwege in die Richtungsgleise erreicht. Auch konnten die Richtungsgleise jetzt mehr Wagen als vorher aufnehmen. Bei diesen Arbeiten wurden große Teile der Gleisanlagen verschoben oder neu verlegt. Vervollständigt wurden die Umbauarbeiten durch den Einbau von gewichtsautomatischen Balkengleisbremsen.

Am 21.05.2011 passiert eine Lok der BR 295 mit einem Kesselwagenzug das Stellwerk Oro an der Schellenbergbrücke. Foto: M. Beermann

Von dem neuen Stellwerk “Oro” konnten diese auch durch ein Steuerpult elektrisch gesteuert werden, diese Technik war damals einmalig in Deutschland. Als erstes der neuen Stellwerke wurde 1965 das Wärterstellwerk “Ors” in Betrieb genommen. Seine Baukosten betrugen ca. 2,7 Millionen Mark. Mit der Inbetriebnahmen des “Oro” im März 1966 war der Umbau des Rangierbahnhofes abgeschlossen.
In dem “neuen” Osnabrücker Rangierbahnhof wurden zu dieser Zeit jeden Tag an die 3000 Güterwagen abgefertigt. Diese verließen Osnabrück in alle Richtungen.

Wandel der Anforderungen und Kapazitätsreduktion

Diese Wagenzahlen ließen sich allerdings nicht auf Dauer halten. Mehr und mehr veränderte sich der Modalsplitt zugunsten der Straße und des LKWs. Konnte Osnabrück zunächst noch Aufgaben von kleineren Rangierbahnhöfen wie Rheine und Löhne übernehmen, folgte nach und nach ein gewisser Bedeutungsverlust. Zu Beginn des Jahres 1986 verlor die Dienststelle Osnabrück Rbf mit den ihr zugeordneten Abteilungen ihre Eigenständigkeit, indem sie dem Hauptbahnhof als Außenstelle angegliedert wurde. Gut vier Jahre später, im Mai 1990 erfolgte dann die Herabstufung vom Rangierbahnhof zum Knotenbahnhof, der nun dem Rangierbahnhof Seelze (bei Hannover) zugeordnet war. Immerhin noch 21 Satelliten wurden von Osnabrück aus bedient. Die Fernzugbildung fand fortan in Seelze statt.[4] Diesen Bedeutungsverlust folgend kam es im gleichen Jahr auch zur Auflösung der „Außenstelle Osnabrück Rbf“.

Am 01.04.2023 ist die Einfahrgruppe am Nachmittag voll besetzt. Links nutzt ein Güterzug das Umfahrungsgleis. Am rechten oberen Bildrand ist das ehemalige „Vorwerk“ zu sehen.
Foto: M. Beermann
Betrieb am Ablaufberg. Der Rangierbahnhof Osnabrück ist auch heute noch eine wichtige Drehscheibe für die Automobiltransporte.
Foto: M. Beermann (21.05.2011)

Den zunehmend freien Kapazitäten in der Anlage versuchte man mit weiteren Tätigkeitsverlagerungen zu begegnen, z.B. indem die Eilgüterzugbildung vom Klus in den Rbf verlegt wurde. Hierfür passte man sogar die Gleisanlagen entsprechend an. Doch die großen verkehrlichen Umbrüche in den 1990er Jahren setzten kurze Zeit später dem Eilgüterzuggeschäft ein Ende. Nicht besser erging es dem Stückgutgeschäft. Nachdem seit Mitte der 1970er Jahre zunehmend Güterabfertigungen auf den kleinen Bahnhöfen geschlossen worden waren, verabschiedete sich der damalige Geschäftsbereich Ladungsverkehr der neugegründeten DB AG nun sukzessive vollständig von diesem Geschäftsmodell. Nach und nach wurden die Güterabfertigungen aufgegeben, der Standort in Osnabrück wurde zum 01.06.1997 geschlossen. Die Bergleistung ging auf teilweise unter 1.000 Wagen pro Tag zurück.

Trotz einer erheblichen Transformation des Transportsektors und sich ständig wandelnder Anforderungen an die Güter- und Frachttransporte konnte sich die Osnabrücker Zugbildungsanlage bis in die Gegenwart halten und stellt auch heute noch einen wichtigen Rangierknoten dar.


Quellen:

[1] vgl. Riepelmeier (2014a), S. 56
[2] vgl. Riepelmeier (2014ª), S. 57 und Deutsche Reichsbahn (1935), S. 58
[3] vgl. Spratte (2004), S. 50ff.
[4] vgl. Riepelmeier (2014a), S. 64
sowie:
Lothar H. Hülsmann – 125 Jahre Eisenbahn in Osnabrück

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